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Konrad Lorenz: Die Acht Todsünden der zivilisierten Menschheit
Einführung: Struktureigenschaften lebender Systeme
Ethologie behandelt das tierische wie das menschliche Verhalten als die Funktion eines Systems, das seine Existenz wie seine besondere Form einem historischen Werdegang verdankt, der sich in der Stammesgeschichte, in der Entwicklung des Individuums, und, beim Menschen, in der Kulturgeschichte abgespielt hat. Die echt kausale Frage, warum ein bestimmtes System so und nicht anders beschaffen sei, kann ihre legitime Antwort nur in der natürlichen Erklärung dieses Werdegangs finden. Ursachen allen organischen Werdens ist, neben Mutation und Neukombination von Genen, die Anpassung, Selektion. Sie ist ein kognitiver Prozess, durch den sich der Organismus Informationen einverleibt, die in der Umwelt vorhanden und für sein Überleben von Bedeutung sind, also indem er WISSEN über die Umwelt erwirbt. Der Biologe fragt also immer nach der ARTERHALTENDEN Leistung eines Merkmals => warum hat die Katze krumme Krallen, Antwort: Zum Mäusefangen. Wozu dient der Menschheit ihre maßlose Vermehrung, ihre sich bis zum Wahnsinn steigernde Hast des Wettbewerbs, die zunehmende, immer schrecklicher werdende Bewaffnung, die fortschreitende Verweichlichung des verstädterten Menschen usw. usf. Bei näherer Betrachtung aber zeigt sich, dass so gut wie alle diese Fehlleistungen Störungen ganz bestimmter, ursprünglich sehr wohl einen Arterhaltungswert entwickelnder Verhaltens-Mechanismen sind. Mit anderen Worten, sie sind als pathologisch aufzufassen.
Das gesamte System menschlicher Antriebe besteht aus einer großen Zahl unabhängiger Quellen des Antriebes, von der sich sehr viele auf phylogenetisch entstandene Verhaltensprogramme, auf sogenannte „Instinkte“, zurück führen lassen. Doch Vorsicht, der Mensch ist kein auf seinen Instinkt reduziertes Wesen. In sich geschlossene Ketten angeborener Verhaltensweisen können sich im Laufe einer stammesgeschichtlichen Höherentwicklung von Lernfähigkeit und Einsicht in dem Sinne auflösen, als dass die obligatorische Koppelung zwischen ihren Teilen verloren geht, aber ihre einzelnen Stücke stehen dem handelnden Subjekt dann unabhängig voneinander zur Verfügung. Jeder dieser einstmaligen Einzelteile wird nun zum autonomen Antrieb, indem es ein eigenes, nach Ausführung strebendes Appetenzverhalten entwickelt. Dem Menschen fehlen also lange Ketten obligatorisch aneinandergekoppelte Instinktbewegungen, aber aus den Erfahrungen mit anderen hochentwickelten Säugetieren kann man vermuten, dass der Mensch nicht weniger, sondern eher mehr echt instinktive Antriebe verfügt als irgend ein Tier.
Menschliche Antriebe gibt es viele: Liebe, Hass, Freundschaft, Treue, Zorn, Anhänglichkeit, Vertrauen, Misstrauen usw. Alle diese Zustände machen geneigt zu gewissen Verhaltensweisen. Dabei ist es erst einmal unwichtig, ob der betreffende Antrieb seine Kraft aus phylogenetischen („instinktiven“) oder kulturellen Quellen schöpft. Jeder dieser Antriebe ist als solcher ein Teil eines harmonischen Systems und deshalb unentbehrlich. Deshalb stellt sich auch nicht die Frage, ob ein Teil davon „gut“ oder „schlecht“ sei, wir brauchen alle diese Antriebe. (Siehe den Nachweis Erikssons, dass Misstrauen unentbehrlich ist.)
Systeme werden geregelt bzw. regeln sich durch die sogenannten Regelkreise, auch Homöostase genannt. Man stelle sich ein Wirkungsgefüge aus einer Anzahl von Systemen vor, die sich in ihrer Wirkung und Funktion verstärken, so dass a von b unterstützt wird, b von c, c von d und so weiter, bis zuletzt z auf a einwirkt. Ein Kreislauf positiver Rückkoppelung ist entstanden, und er kann sich bestenfalls im Zustand labilen Gleichgewichts befinden. Die kleinste Verstärkung einer einzigen Wirkung muss zum lawinenhaften Anschwellen sämtlicher Systemfunktionen führen und umgekehrt die kleinste Verminderung zum Verebben sämtlicher Aktivität. Man kann ein solch labiles System in ein stabiles verwandeln, indem man in den Kreisprozess ein einziges Glied einführt, dessen Einwirkung auf das in der Wirkungskette folgende Glied umso schwächer wird, je stärker es seitens des vor ihm eingeschalteten beeinflusst wird. So entsteht ein Regelkreis, eine Homöostase, oder, in schlechtem Deutsch ausgedrückt, ein „negatives feedback“. In der Natur vorzufindende Regelkreise sind in der Regel dieser Art, positive Regelkreise findet man höchstens bei rasch anwachsenden und sich ebenso rasch erschöpfenden Ereignissen wie zum Beispiel Lawinen oder Waldbränden. An diese erinnern auch manche pathologischen Störungen menschlichen Gesellschaftslebens, bei denen einem in den Sinn kommt, was Schiller in der Glocke von des Feuers Macht sagte: „Wehe, wenn sie losgelassen!“
Die negative Rückkoppelung des Regelkreises macht es unnötig, daß die Wirkung jedes einzelnen der an ihm beteiligten Untersysteme genau auf ein bestimmtes Maß festgelegt ist.
Eine geringe Über- oder Unterfunktion wird leicht wieder ausgeglichen. Zur gefährlichen Störung der Systemganzheit kommt es nur dann, wenn eine Teilfunktion bis zu einem
Maße gesteigert oder vermindert ist, das die Homöostase nicht mehr auszugleichen vermag, oder aber, wenn am Regelmechanismus selbst etwas nicht in Ordnung ist. Für all diese Vorkommnisse gibt der im Folgenden in einzelne Kapitel, gemäß K. Lorenz Buch: „Die acht Todsünden der Menschheit“, zusammengefasste Text Beispiele.

Kap. 1: Überbevölkerung. Die Menschheit droht, in sich selbst zu ersticken
Den meisten Menschen ist gar nicht bewußt, dass die höchsten und edelsten Eigenschaften des Menschen, die die wir spezifisch „menschlich“ nennen, die ersten sind, die dabei untergehen, wenn der Mensch zu nahe aufeinander hockt.
=> Mangel an allgemeiner herzlicher und warmer Menschenliebe entsteht dadurch, dass des Menschen Fähigkeit zum sozialen Kontakt überfordert wird. Der Mensch ist nicht so erschaffen, dass er alle Menschen lieben kann. Des Menschen Nächstenliebe wird durch die Massen der Allzu Nahen so verdünnt, dass sie nicht mehr in Spuren nachweisbar ist.
=> Man hält sich ein „Zuviel“ vom Leib, aus Selbstschutz.
=> weitere Folge: Gleichgültigkeit, Teilnahmslosigkeit. Verbrechen geschehen auf offener Straße in der Stadt, alle sehen es, keiner schreitet mehr ein.
Fazit: Zusammenpferchen vieler Menschen auf engstem Raum führt zu Entmenschlichung und löst unmittelbar aggressives Verhalten aus. K. Lorenz hält den Glauben, dass man eine neue Sorte Menschen durch „Konditionierung“ an diese Verhältnisse erschaffen könne, für einen gefährlichen Wahnsinn.
Kap. 2: Verwüstung des Lebensraumes
Unsere Lebensgrundlagen sind nicht unerschöpflich, doch wird das aufgrund ökonomischer Gesichtspunkte missachtet. Die Hast der heutigen Zeit lässt die Prüfung von Handlungsweisen, bevor man handelt, nicht mehr zu. K. Lorenz erwähnt als „Untaten“ „nur“ die Insektenvernichtungsmaßnahmen in der Landwirtschat und im Obstbau, und diejenigen in der Medizin (Medikamente und ihre ungeklärten Langzeitwirkungen). Das „sofort-haben-müssen“ fördert die Produktion von Waren chemischer Herkunft, deren Langzeitwirkung gar nicht absehbar ist. Menschen, die dies kritisieren, werden mundtot gemacht.
Der „zivilisierte“ Mensch verwüstet die ihn umgebende und ihn erhaltende Natur und beraubt sich seiner eigenen Lebensgrundlage. Die dazu kommende Entfremdung von der lebenden Natur trägt einen großen Teil der Schuld an der ästhetischen und ethischen Verrohung des Zivilisationsmenschen. Ehrfurcht vor dem Leben wird dann, wenn der heranwachsende Mensch nur von hässlichem und billigem Menschenwerk umgeben ist, aussterben. Vor Schrott hat man keine Ehrfurcht! K. Lorenz bemerkt die Ähnlichkeit der Krebszelle mit dem sich in unversehrte Landschaft und Natur hinein fressenden Moloch Stadt.
Reihenhaussiedlungen in ihrer Gleichheit verdienen das Wort „Haus“ nicht, sie sind bestenfalls Batterien von Ställen für Nutzmenschen. Noch schlimmer sind die uniformen Wohnblocks des „sozialen Wohnungsbaus“, denn dort hängt man zusätzlich zur Hässlichkeit noch mit Menschen, die man normalerweise nie so eng an sich heran lassen würde, so dicht zusammen, wie man es dauerhaft nicht ertragen kann. Leben ist hier nicht mehr möglich, geschweige denn Individualität. Zum erträglichen Leben gehört der nötige Abstand zum Nächsten, den man sich idealerweise auch selbst ausgesucht hat, und nicht, zu dem man aufgrund der Umstände (Wohnraum-Mangel) gezwungen ist.
Die Schönheit der Natur und die Schönheit der von Menschen geschaffenen kulturellen Umgebung sind nötig, um den Menschen gesund zu erhalten. Die heutige Seelenblindheit für alles Schöne ist eine Geisteskrankheit, die von gewissen Kreisen bewusst hervor gerufen wurde, um den Menschen zu verrohen. Diese Geisteskrankheit geht mit einer Unempfindlichkeit gegen das ethisch Verwerfliche einher.
Kap. 3: Der Wettlauf mit sich selbst
Der Wettbewerb mit sich selbst aufgrund kommerzieller Erwägungen zerstört alle Werte des Menschen. Welcher Schaden ist größer, der durch die Geldgier entstandene, oder der durch die zermürbende Hast?
Was treibt den Menschen zum Wettbewerb? Neben der Gier nach Besitz oder höherer Rangordnung spielt die Angst eine „sehr wesentliche Rolle“. Der moderne Mensch ist getrieben, und was ihn treibt, kann nur Angst sein. Diese Angst hält der Mensch nicht aus und lenkt sich ab. Die wenigsten Menschen können deshalb mit sich alleine sein, ohne Ablenkung.
Der wirtschaftliche Wettbewerb der Menschheit mit sich selbst ist ein Kreisprozess mit positiver Rückkoppelung und führt früher oder später zur Katastrophe. Dieser Vorgang gliedert sich auf in mehrere kleinere Kreisprozesse: 1) ständig sich verschnellerndes Arbeitstempo und 2) progressive Steigerung der Bedürfnisse des Menschen. Die Masse der Menschen ist dumm genug, sich die Lenkung durch die mittels der Meinungs- und Werbungsforschung ausgearbeiteten Methoden gefallen zu lassen. Es entsteht ein Teufelskreis einer rückgekoppelten Produktions- und Bedürfnissteigerung und daraus als Folge, maßloser Luxus.
Kap. 4: Wärmetod des Gefühls
Der Mensch strebt instinktiv nach Lustgewinn und vermeidet Unlustgefühle. Zu starke Vermeidung von Unlust bringenden Reizsituationen führt zur Verweichlichung mit der Gefahr des Kulturuntergangs.
Ständige Steigerung lustbringender Situationen führt zum Laster.
Ständig fortschreitende technische Errungenschaften haben die Lust-Unlust-Ökonomie des modernen Menschen in Richtung einer ständig zunehmenden Sensitivierung gegenüber allen Unlust auslösenden Reizsituationen und einer ebensolchen Abstumpfung gegen alle Lust auslösenden verschoben. Folgen: Intoleranz gegen Unlust/verringerte Anziehungskraft der Lust => Sofortige Befriedigung aller aufkeimenden Wünsche. Dass man durch Ratenkäufe in Sklaverei gerät, interessiert die Menschen nicht.
Auf dem Gebiet sexuellen Verhaltens entfallen alle feineren, differenzierten Verhaltensweisen der Paarbildung, inklusive der sogenannten „Normen“ menschlichen Verhaltens. Folge: Sofortbefriedigung, schneller Sex, Paarbildung entfällt. „Viehisch“, nennt Lorenz dieses Verhalten, da es selbst bei höher entwickelten Tieren nur ganz ausnahmsweise vorkommt.
Unlustvermeidung führt zum Verlust der Freude, da Lustgewinn auf Kontrastwirkung beruht. Die Unlust-Intoleranz wächst dagegen ständig und verwandelt die naturgewollten Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens in eine planierte Ebene. Sie erzeugt tödliche Langeweile. Folge: Emotionaler Wärmetod.
Soziale Beziehungen: Die Verhaltensweisen dabei sind angeboren und „viel urtümlichere Verhaltensweisen“, als angenommen. Diese Verhaltensweisen bringen nicht nur Freude, sondern auch viel Leid. Diesem Leid aus dem Weg gehen zu wollen, heißt sich einem wesentlichen Teil des menschlichen Lebens zu entziehen.
Das Streben nach Lustgewinn führt zu andauernden Suche nach „neuen“ Reizsituationen (Neophilie). Die Neophilie betrifft sämtliche Beziehungen, zu denen Menschen fähig sind. Sie erfreut außerdem die Industrie, die das Verfallsdatum in ihre Produkte mittlerweile eingebaut hat.
Abhilfe ist schwierig, da das naturgegebene Hindernis, dessen Beseitigung den Menschen stählt, fehlt. Die Bewältigung absichtlich herbei geführter Beschwernisse des Lebens gewährt keine Befriedigung. Wenn das Leben zu leicht ist, besteht die Gefahr, dass aus den Menschen blasiert-gelangweilte Zeitgenossen werden.
Kap.5: Genetischer Verfall
Gendefekt = Laut Lorenz „erblicher Instinktausfall“
Soziales Verhalten / Altruismus ist die Fähigkeit des Einzelnen, ohne „Bezahlung“/Lohn etwas zum Gruppenwohl beizutragen. Das Gegenteil sind „soziale Parasiten“. Normale Gruppenmitglieder haben höchst spezifische Reaktionsweisen, mit denen sie auf asoziales Verhalten reagieren; z.Bsp. Empörung bis hin zur Verteidigung der sozial Schwächsten der eigenen Gruppe, wenn diese von jemand angegriffen/misshandelt werden. Es existiert also kulturübergreifend eine Art „angeborenes Rechtsgefühl“. Lorenz wörtlich: „Wir können betrachten, dass die Art Homo Sapiens über ein hochdifferenziertes System von Verhaltensweisen verfügt, das in durchaus analoger Weise wie das System der Antikörperbildung im Zellenstaat der Ausmerzung gemeinschaftsgefährdender Parasiten dient.
Kulturelles Zusammenleben bedingt, dass der Mensch seine Triebe zügeln lernt. Vernunft und Verantwortlichkeit sind jedoch nicht unbegrenzt stark. Beim Gesunden reichen sie gerade aus, um seine Einordnung in die Gesellschaft leisten zu können. Der seelisch Gesunde und der Psychopath unterscheiden sich allerdings nicht stark.
Der Mensch ist ein Kulturwesen, d.h. seine instinktiven Antriebe und deren kulturbedingte verantwortliche Beherrschung bilden ein System, indem die Funktionen beider Untersysteme genau aufeinander abgestimmt sind. Ein Zuviel oder Zuwenig, egal auf welcher Seite, führt zur Störung, leichter als die an die Allmacht der menschlichen Vernunft und des Lernens zu glauben geneigte Menschen meinen. Die zur Religion gewordene Überzeugung, dass alle Menschen gleich geboren seien und dass alle Verbrechen des Täters nur auf die Sünden zurück zu führen seien, die seine Erzieher an ihm begangen hätten, führt zur Vernichtung jedes natürlichen Rechtsgefühls. Auch sieht sich der Täter in Selbstbemitleidung als Opfer der Gesellschaft. (Was er ja auch ist, aber die Gesellschaft im Ganzen oder auch unschuldige einzelne Teile davon dürfen deshalb nicht zu seinen Opfern werden. /Hinzufügung von mir.)
Trotz aller Gefährdungen, die das natürliche Rechtsgefühl durch extreme Auslegung seiner Selbst und den daraus entstehenden Folge mit sich bringt, ist dieses natürliche Rechtsgefühl für das Wirkungsgefüge unserer sozialen Verhaltensweisen unentbehrlich. Seine Ausschaltung durch die Tendenz zur absoluten Toleranz wird in ihrer gefährlichen Wirkung verstärkt durch die Doktrin, dass alles menschliche Verhalten erlernt sei. Dies bedingt dann den gefährlichen Irrglauben, dass alles menschliche Fehlverhalten ebenso unbegrenzt veränder und korrigiert werden kann.
Wir brauchen aber diese „Anständigkeit“ genannte Eigenschaft, da die Gesellschaft sonst durch Soziopathen zersetzt wird (Sofern sie das nicht schon ist / Hinzufügung von mir).Wir brauchen die Moral, auch wenn sie im wirtschaftlichen Wettbewerb der westlichen Kultur keine Rolle spielt, kein Selektionsmerkmal ist.
Zweifellos droht uns durch den Verfall genetisch verankerten sozialen Verhaltens die Apokalypse.
Bei spezifischer Selektion setzt der Verfall sozialer Verhaltensweisen schnell ein. Lorenz bringt das Beispiel der Zierfische, die über Generationen künstlich vermehrt wurden und keinerlei Brutpflegetrieb mehr haben. Wobei Lorenz bemerkt, dass die alten und verbreiteten Triebe wie die der Nahrungsaufnahme und die der Begattung oft zur Hypertrophie neigen und dabei zu bedenken ist, dass der züchtende Mensch wahlloses und gieriges Fressen und ebensolchen Begattungstrieb selektiv fördert, Aggressions- und Fluchttrieb dagegen weg zu züchten trachtet.
Ein Syndrom erblicher Veränderungen, das ganz zweifellos beim Menschen und bei seinen Haustieren in analoger Weise und aus gleichen Gründen aufgetreten ist, ist die merkwürdige
Kombination von geschlechtlicher Frühreife und dauernder Verjugendlichung. Das dauernde Verharren im jugendlichen Zustand bezeichnet man in der Biologie als Neotonie. Wie ich (1943) zu zeigen versucht habe, ist die bis ins hohe Alter andauernde spielerische Forschungsneugier des Menschen, seine Weltoffenheit, wie Arnold Gehlen (1940) es nennt, ein persistierendes Jugendmerkmal. Kindlichkeit ist eins der wichtigsten, unentbehrlichsten und im edelsten Sinne humanen Merkmale des Menschen. Doch wo ist die Grenze? Ist die den Menschen kennzeichnende genetische Verkindlichung nicht bereits in einem Maße fortgeschritten, dass sie verderblich ist? Die Erscheinungen der Unlust-Intoleranz und der Gefühlsverflachung können ja, wie bereits hier auf dem blog behandelt, zur Verkindlichung führen. Es besteht laut Lorenz der dringende Verdacht, dass sich kulturell bedingte Vorgänge zu diesen genetisch bedingten addieren können. Forderung nach sofortiger Triebbefriedigung, Mangel an jeglicher Verantwortlichkeit und Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer sind für kleine Kinder typisch und bei ihnen völlig verzeihlich, aber nicht bei Erwachsenen. Geduldiges Hinarbeiten auf ferne Ziele, Verantwortung des eigenen Tuns und Rücksichtnahme auch auf Fernerstehende sind Verhaltensnormen, die für den reifen Menschen kennzeichnend sind.
Ein Mensch, der durch das Ausbleiben der Reifung in einem kindlichen Zustand verharrt, wird notwendigerweise zum Parasiten der Gesellschaft.
Unzählige Jugendliche sind der heutigen Gesellschaftsordnung und damit auch ihren Eltern gegenüber feindlich eingestellt. Daß sie ungeachtet dieser Haltung als selbstverständlich erwarten, von dieser Gesellschaft und diesen Eltern erhalten zu werden, zeigt ihre unreflektierte Infantilität. Wenn die fortschreitende Infantilisierung und wachsende Jugend-Kriminalität des Zivilisationsmenschen tatsächlich, wie ich befürchte, auf genetischen Verfallserscheinungen beruht, so sind wir in schwerster Gefahr. Unsere gefühlsmäßige Hochwertung des Guten und Anständigen ist mit erdrückender Wahrscheinlichkeit der einzige Faktor, der heute noch gegen Ausfallserscheinungen sozialen Verhaltens eine einigermaßen wirksame Selektion treibt.
[Hinzufügung von mir: Mittlerweile ist die von Lorenz erwähnte Hochwertung des Guten und Anständigen längst nur noch in seltenen Spuren zu finden; Dekadenz ist das Maß aller Dinge in der zerfallenden Gesellschaft.]
Alles, was in den vorangehenden Abschnitten besprochen wurde, die Übervölkerung, die kommerzielle Konkurrenz, die Zerstörung unserer natürlichen Umgebung und die Entfremdung von ihrer ehrfurchtgebietenden Harmonie, der durch Verweichlichung bewirkte Schwund der Fähigkeit zu starken Gefühlen, dies alles wirkt zusammen, um dem modernen Menschen jegliches Urteil darüber zu rauben, was gut und was böse ist. Zu alledem aber kommt dann noch die Befreiung des Asozialen von ihrer Schuld, die uns durch die Einsicht in die genetischen und psychologischen Gründe seiner Fehlleistungen aufgedrängt wird.
Einsichtsvolle Humanität dem Einzelnen gegenüber müssen wir unter seiner Berücksichtigung mit dem verbinden, was der menschlichen Gemeinschaft gut tut. Der Einzelmensch, der mit dem Ausfall bestimmter sozialer Verhaltensweisen und dem gleichzeitigen Ausfall der Fähigkeit zu den sie begleitenden Gefühlen geschlagen ist, ist tatsächlich ein armer Kranker, der unser volles Mitleid verdient. Der Ausfall selbst aber ist das Böse schlechthin. Er ist nicht nur die Negation und Rückgängigmachung des Schöpfungsvorganges, durch den ein Tier zum Menschen wurde, sondern etwas viel Schlimmeres, ja Unheimliches. In irgendeiner geheimnisvollen Weise führt die Störung moralischen Verhaltens nämlich sehr oft nicht zu einem einfachen Fehlen alles dessen, was wir als gut und anständig empfinden, sondern zu einer aktiven Feindschaft dagegen. Eben dies ist das Phänomen, das viele Religionen an einen Feind und Gegenspieler Gottes glauben läßt. Wenn man wachen Auges alles das betrachtet, was gegenwärtig auf der Welt geschieht, kann man einem Gläubigen nicht widersprechen, der die Ansicht vertritt, der Antichrist sei los.
Zweifellos droht uns durch den Verfall genetisch verankerten sozialen Verhaltens die Apokalypse, und zwar in einer besonders gräßlichen Form. Doch ist diese Gefahr wohl leichter zu bannen als andere, wie die der Übervölkerung oder des Teufelskreises des kommerziellen Wettbewerbs, denen man nur durch umwälzende Maßnahmen, zumindest durch eine erzieherische Umwertung aller heute verehrten Scheinwerte entgegentreten kann. Zur Verhinderung des genetischen Verfalls genügt es, bei der Gattenwahl die einfache und selbstverständliche Forderung nicht zu vergessen: Anständig muss er/sie sein. (Ergänzung von mir: Bedingt durch eben den mittlerweile fortgeschrittenen Verfall wird es auch diesbezüglich schwieriger, überhaupt noch anständige Menschen zu finden.)
Kap. 6: Abreißen der Tradition
Bei der Methode, mit der eine Kultur unter vielen Angeboten das Festzuhaltende ausgewählt, handelt es sich um „Auswahl nach gründlicher Erprobung“. Gewiss ist die Selektion, durch die Funktion und Strukturen einer Kultur festgelegt werden, nicht ganz so streng wie diejenige, die beim Artenwandel am Werke ist, weil sich der Mensch durch die ständig wachsende Beherrschung der umgebenden Natur einem selektierenden Faktor nach dem anderen entzieht. Bei Kulturen findet man daher öfter, was bei Arten kaum vor kommt: sogenannte Luxusbildungen.
Nur Selektion entscheidet, was als traditionelle Sitte und Gewohnheit in den andauernden Wissensschatz einer Kultur eingeht. Scheinbar nehmen nämlich Erfindungen und Entdeckungen, die durch Einsicht und rationale Erkenntnis gemacht werden, mit der Zeit rituellen, gar religiösen Charakter an. Überspitzt könnte man sagen, dass Alles, was über längere Zeit durch kulturelle Tradition überliefert ist, den Charakter eines Aberglaubens oder einer Doktrin annimmt. Größtes Festhalten am einmal Erprobten gehört zu den notwendigen Eigenschaften desjenigen Apparates, dem die Kulturentwicklung zufällt, Festhalten am Erprobten ist sogar noch viel Wichtiger als das Hinzuerwerben von Neuem. Selbst wenn man Verhaltensnormen, deren üble Auswirkungen klar sind, wie zum Beispiel das Kopfjagen mancher Stämme in Neuguinea und Borneo, abschafft, kann man nicht voraus sehen, welche Folgen diese Abschaffung im System sozialer Verhaltensnormen hat, das die betreffende Kulturgruppe zusammenhält. Solche Systeme sind das Skelett jeder Kultur, und ohne Einsicht in die Vielzahl seiner Wechselwirkungen sind Änderungen daran höchst gefährlich.
Heute geht man irrtümlicherweise davon aus, nur das wissenschaftlich Erfassbare und das rational Beweisbare gehöre zum Wissensschatz der Menschheit. Dies führt dazu, dass die „wissenschaftlich aufgeklärte Jugend“, den Schatz von Wissen und Weisheit aller alten Kulturen und aller Weltreligionen über Bord wirft. Wer meint, Wissen und Weisheit aus Tradition und Religion sei Null und Nichtig, denkt ebenso folgerichtig, dass Wissenschaft eine ganz neue Kultur mit allem Drum und Dran auf rationalem Wege quasi aus dem Nichts erschaffen könne – dies ist ein Irrtum! Dann müsste man wieder beim Cro-Magnon-Menschen anfangen. Eine Kultur enthält ebensoviel gewachsenes, durch Selektion erworbenes Wissen wie eine Tierart, die man auch nicht „machen“ kann.
Der nicht rationale, kulturelle Wissensschatz, wird also zuungunsten des rationalen Wissens unterschätzt, dies ist aber nicht der ausschlaggebende, kulturvernichtende Faktor des Ganzen, nein, die Feindseligkeit der heutigen Jugend/jüngeren Generation gegenüber ihren Eltern/den älteren Generationen ist von Hass getragen, einer Art Hass, die mit dem am schwersten zu überwindenden aller Hassgefühle, dem Nationalhass, verwandt ist.
Es ist das Merkmal des Menschen, dass er Gruppen bildet. Die größte Gruppe kann die Nation sein, sie kann eine Ethnie sein, eine Volksgruppe, oder eine Religionszugehörigkeit. Das Wesen von solchen Gruppen ist aber 1. die strikte Abgrenzung von anderen Gruppen (auch durch Kleidung, Verhalten), und 2. man betrachtet sich selbst und die eigenen Gruppenmitglieder als „Mensch“, und alle anderen als „Nicht-Menschen“, was beinhaltet, dass man die anderen im Extremfall totschlagen kann, weil es sich dabei dann nicht um Mord handelt. Durch diese Schein-Artenbildung wird die Hemmung, einen Artgenossen zu töten, beseitigt, das ist ihre größte Gefahr. Selbstverständlich nutzen Kriegstreiber jeder Art diesen Mechanismus mit ihrem „Teile und Herrsche“.
Besonders in der Pubertät neigt der Mensch zur Gruppenbildung. Das kann so weit gehen dass die Devise dann heißt: Besser Mitglied irgendeiner Gruppe, als allein sein. Die rebellierende Jugend grenzt sich so scharf wie möglich von der Elterngeneration ab. Dabei ignoriert sie elterliches Verhalten nicht, sondern beachtet jede kleinste Einzelheit desselben und kehrt sie ins Gegenteil um. Ihr Angriff scheint grundlos, und richtet sich ziemlich wahllos gegen alle älteren Menschen. Die ältere Generation versteht diese angeblichen Proteste als das, was sie sind, als hasserfüllte Kampfansagen und Beschimpfung.
Ethologische Ursachen des Generationenkrieges: Funktionsstörung des Entwicklungsvorganges in der Pubertät. In dieser Phase löst sich der junge Mensch von den Traditionen seines Elternhauses. Er hält Umschau nach neuen Idealen und will für eine gute Sache auch kämpfen. Alles Althergebrachte ist langweilig, alles Neue ist anziehend. Seinen Arterhaltungswert bezieht dieser Vorgang aus der Tatsache, dass er der allzu starren Überlieferung kultureller Verhaltensnormen Anpassungsfähigkeit verleiht. Der Vorgang ist mit der Häutung eines Krebses zu vergleichen, der sein starres Außenskelett abwerfen muss, um wachsen zu können.
Normalerweise folgt auf diese Periode eine Phase der Liebe zum Althergebrachten. – Störungen, die zu Hass und Krieg zwischen Generationen führen, haben zweierlei Ursachen. Erstens werden die geforderten anpassenden Veränderungen des überlieferten Kulturgutes immer mehr. Das durch die Technologie der heutigen Kultur aufgezwungene Entwicklungstempo hat zur Folge, dass ein beträchtlicher Teil des traditionellen Gutes einer Kultur von der kritischen Jugend als überflüssig betrachtet und über Bord geworfen wird. Der sich dazu noch gesellende Irrglaube, der Mensch könne eine Kultur einfach rational aus dem Boden stampfen, führt zum Irrglauben, dass es am besten sei, die elterliche Kultur total zu vernichten, um schöpferisch alles neu aufzubauen.
Weiterer Grund: Sich verändernde Familienstrukturen im Zuge der fortschreitenden Technisierung der Menschheit. Folge: Kontakt zwischen Eltern und Kindern wird geschwächt – so er denn überhaupt noch vorhanden ist. Hospitalisierung durch Vernachlässigung bereits von Säuglingen ist nicht selten und führt zu Schwäche der menschlichen Kontaktfähigkeit. Ausfall des Vaters als Vorbild, durch verschiedene Vorgänge, entweder Vater nicht vorhanden – braucht man ja heute nicht mehr – oder der eigene Vater wird mangels Vorleben seiner Funktionen (vor allem Arbeit) nicht mehr als Vorbild empfunden. Katastrophal sind die fehlenden Rangordnungsstrukturen (Überlegenheit des Alters) in Familien. So entstehen neurotische Jugendliche, die niemals Grenzen gesetzt bekommen, die deshalb immer wieder aufs Neue geradezu darum betteln, diese aufgezeigt zu bekommen, die lernen müssen, dass ihre eigene, natürliche Aggression eine Antwort bekommt, und, falls diese dauerhaft ausbleibt, erfahren, dass sie nirgendwo geliebt werden, denn sie selber können auch nicht lieben. Liebe entsteht nur, wenn Respekt und weitergehend Anerkennung vorhanden ist, ein Kind, was seine Eltern tyrannisiert, respektiert sie nicht, geschweige denn, dass es sie liebt. Natürlich missachtet es dann auch die ethischen Werte der Eltern, beziehungsweise deren Moral, Tradition und Kultur, und grenzt sich davon ab. Solchen Kindern fehlt die so wichtige Vorbildfunktion, an der sie wachsen können.
Weitere ethische Gründe, die elterliche Kultur abzulehnen: die westliche Kultur mit ihren Auswüchsen der Vermassung, Verwüstung der Natur, ihrem wertblind-geldgierigen Wettlauf mit sich selbst, ihrer erschreckenden Gefühlsverarmung und ihrer Verdummung durch Indoktrination hat so viel offensichtlich Negatives, dass man den Gehalt an tiefer Wahrheit und Weisheit vergißt, der auch unserer Kultur innewohnt.
Der „normale“, im Sinne von arterhaltende Vorgang ist es, dass sich Jugendliche einer ethnischen Gruppe sich im Dienste mancher neuer Ideale zusammenfinden, ohne dabei die Kultur der Eltern über Bord zu werfen. Der junge Mensch identifiziert sich also eindeutig mit der jungen Gruppe einer alten Kultur. Es liegt im tiefsten Wesen des Menschen als natürlichem Kulturwesen begründet, dass er eine voll befriedigende Identifizierung nur IN und MIT einer Kultur zu finden vermag! (Der Mensch ist kein Einzelwesen – mein Reden!) Wenn ihm dies nicht möglich gemacht wird, befriedigt er seinen Drang nach Identifizierung und Gruppenzugehörigkeit an einem Ersatzobjekt. Folge: Wahllosigkeit. Viele Jugendliche werden alleine deshalb drogensüchtig. Weitere Möglichkeit: Kriminelle Bande. Wenn es keine gibt, gründet man eine. Beispiel: Hamburger Rocker, die sich das Verprügeln wehrloser Greise zur Lebensaufgabe gemacht haben. (Beispiel neueren Datums unter Mädchen: Mehrere Mädchen verprügeln gemeinschaftlich eine Gleichaltrige, filmen das und stellen es ins Internet, habe ich selber mehrfach bei facebook gesehen. So etwas ist zutiefst verstörend, denn die Täter haben offensichtlich keinerlei Unrechtsgefühl mehr/Hinzufügung von mir.) Zweck der Gruppe ist die Befriedigung des Gruppenzugehörigkeitstriebes und das Ausleben von Aggression. Der Hass hemmt dabei den Verstand. Hass sorgt dafür, dass jede an die von Hass besessene Person gerichtete Nachricht ins Gegenteilverkehrt wird. Hass macht blind, taub und dumm.
Kap. 7: Indoktrinierbarkeit
Wissenserwerb geschieht i.d.Regel über die Hypothese, die dann zur Vermutung wird und anschließend überprüft wird. Hat sie die Überprüfung oft genug bestanden, wird sie zur erlebten/erfahrenen Wahrheit. Hypothesen als „vorläufige Annahmen“, machen nur dann Sinn, wenn die praktische Möglichkeit besteht, sie durch extra zu diesem Zweck gesuchte Tatsachen zu belegen. Eine Hypothese, die keiner Überprüfung zugänglich ist, ist nicht verifizierbar und damit wertlos.
Es ist allerdings auch ein Irrtum, dass eine Hypothese durch eine einzige, oder einige wenige Tatsachen, die sie nicht einzuordnen vermag, wiederlegt wird. Wäre dem so , dann wären sämtliche existierenden Hypothesen widerlegt, denn kaum eine wird allen einschlägigen Tatsachen gerecht. (Die einzige Ausnahme, die eine Regel bestätigt, macht also die Regel nicht ungültig, nicht nicht-existent. Hinzufügung von mir.) Alle unsere Erkenntnis ist nur eine Annäherung an die außersubjektive Wirklichkeit, allerdings eine fortschreitende. Widerlegt wird eine Hypothese niemals durch eine einzige widersprechende Tatsache, sondern nur durch eine andere Hypothese, die mehr Tatsachen einzuordnen vermag als sie selbst.
Unser Denken und Fühlen beugt sich dieser theoretisch anzweifelbaren Tatsache aber nicht. Manche Dinge halten wir einfach für „wahr“ und sind von der absoluten Richtigkeit dieses Wissens überzeugt. Dies kann man als „glauben“ bezeichnen.
Wenn der Forscher eine Hypothese so weit verifiziert hat, daß sie den Namen einer Theorie verdient, und wenn diese Theorie soweit gediehen ist, daß sie voraussagbar nur mehr durch Zusatzhypothesen, nicht aber in ihren Grundzügen geändert werden wird, so „glauben“ wir „fest“ an sie. Dieser Glauben stiftet auch weiter keinen Schaden, da eine derartige „abgeschlossene“ Theorie in ihrem Geltungsbereich ihre „Wahrheit“ auch dann behält, wenn sich dieser als weniger allumfassend erweisen sollte, als man zu der Zeit glaubte, da die Theorie aufgestellt wurde. Dies gilt z. B. für die gesamte klassische Physik, die durch die Quantenlehre zwar in ihrem Geltungsbereich eingeschränkt, nicht aber im eigentlichen Sinne widerlegt wurde.
Überzeugungen – wissenschaftlich begründete wie gefühlsmäßige – kommen phänomenologisch einem Glauben gleich Um seinem Erkenntnisstreben auch nur eine scheinbar feste Basis zu verleihen, kann der Menschgar nicht anders, als gewisse Tatsachen als feststehend anzunehmen und sie seinen Schlussfolgerungen als archimedische Punkte zu „unterstellen“. Bei der Hypothesebildung fingiert man bewußt die Sicherheit einer solchen Unterstellung, man „tut, als ob“ sie wahr wäre, nur um zu sehen, was dabei herauskommt. Je länger man dann auf solchen fiktiven archimedischen Punkten weitergebaut hat, ohne daß das Gebäude in sich widerspruchsvoll wird und zusammenbricht, desto wahrscheinlicher wird nach dem Prinzip der gegenseitigen Erhellung die ursprünglich tollkühne Annahme, daß die hypothetisch unterstellte archimedische Punkte wirkliche seien.
Die hypothetische Annahme, daß gewisse Dinge einfach wahr seien, gehört also zu den unentbehrlichen Verfahren menschlichen Erkenntnisstrebens. Hoffen, die Hypothese sei wahr, ist ebenfalls normal und menschlich. Die meisten Forscher lieben ihre Hypothesen sogar, auch das ist normal. Es ist auch nicht verdammenswert, wenn man sich in seiner Meinung von anderen bestätigen lässt.
Gefahr droht, wenn die eine Überzeugung festigenden Wirkungen ohne die oben erwähnten Berechtigungen auftreten. So kann eine eine Hypothese so beschaffen sein, dass die von ihr diktierten Versuche sie im vorneherein nur bestätigen. Auch das Vertrauen in die Lehren eines Meisters bringt die Gefahr der Doktrin-Bildung mit sich, wenn die Theorie allzu plastisch ist, der „Meister“ zur Überschätzung neigt und die Schüler zu Jüngern werden im Sinne einer Religion, eines Kultes. Mit der steigenden Zahl der Anhänger einer Überzeugung steigt auch die Gefahr, dass die Überzeugung zur Doktrin wird; hierzu trägt ihre schnelle Verbreitung durch die Massenmedien nochmals bei. Die Gefahr, dass aus einer unwissenschaftlichen, nicht verifizierten Hypothese eine wissenschaftliche wird und weitergehend, eine gar öffentliche Meinung wird, muss nicht extra erwähnt werden.
Ab dem Punkt treten alle Mechanismen in Kraft, die zum Festhalten erprobter Traditionen dienen. Doktrinen werden genauso zähe und leidenschaftlich verteidigt, als gelte es, das durch Selektion geklärte Wissen einer alten Kultur vor Vernichtung zu bewahren. Wer mit der öffentlichen/gesellschaftlichen Meinung nicht konform geht, wird als Ketzer gebrandmarkt, verleumdet und diskreditiert. Die höchst spezielle Form des sozialen Hasses, des sogenannten „Mobbings“, wird auf ihn entladen. (Habe ich selber sehr oft erlebt; Gesellschaften jedweder Form vertragen offensichtlich keine Meinungen, die nicht mit der ihnen eigenen konform geht. Deshalb muss man sich in Gesellschaften jedweder Form IMMER anpassen, es sei denn, man ist bereit, Mobbing zu ertragen./Hinzufügung von mir.)
Doktrinen gewähren ihren Anhängern die subjektive Befriedigung einer ENDGÜLTIGEN Erkenntnis mit Offenbarungscharakter. Alle Tatsachen, die ihr widersprechen, werden geleugnet, ignoriert, oder verdrängt. Der Verdrängende setzt jedem Versuch, sich das Verdrängte wieder bewusst zu machen, erbitterten, äußerst starken Widerstand entgegen, der um so größer ist, je größer die Änderung wäre, die dies in seinen Anschauungen verursachen würde.
Wirklich satanisch aber wirkt sich die Indoktrinierung erst dann aus, wenn sie ganz große Menschenmengen, ganze Kontinente, ja vielleicht sogar die ganze Menschheit in einem einzigen bösen Irrglauben vereinigt.
Eben diese Gefahr aber droht uns jetzt. Als um das Ende des vorigen Jahrhunderts Wilhelm Wundt den ersten ernstlichen Versuch unternahm, die Psychologie zu einer Naturwissenschaft zu wandeln, orientierte sich die neue Forschungsrichtung merkwürdigerweise nicht nach der Biologie. Obwohl die Erkenntnisse Darwins damals schon allgemein bekannt waren, blieben vergleichende Methoden und stammesgeschichtliche Fragestellungen der neuen experimentellen Psychologie völlig fremd. Sie richtete sich nach dem Vorbild der Physik, in der zu jener Zeit die Atomtheorie gerade ihre Siege feierte. Sie nahm an, daß das Verhalten der Lebewesen wie alles Materielle aus selbständigen und unteilbaren Elementen zusammengesetzt sein müsse. Dabei führte das an sich richtige Bestreben, die kompensatorischen Aspekte des Physiologischen und des Psychologischen bei der Untersuchung des Verhaltens gleichzeitig zu berücksichtigen, notwendigerweise dazu, den Reflex als wichtiges, ja als einziges Element aller, auch der komplexesten Nervenvorgänge zu betrachten. Gleichzeitig ließen die Erkenntnisse I. P. Pawlows den Vorgang der Ausbildung bedingter Reflexe als einleuchtendes physiologisches Korrelat zu den von Wundt untersuchten Assoziationsvorgängen erscheinen. Es ist die Prärogative des Genies, den Geltungsbereich neu gefundener Erklärungsprinzipien zu überschätzen, und so nimmt es kaum wunder, wenn diese wahrhaft epochemachenden und untereinander so überzeugend übereinstimmenden Entdeckungen nicht nur ihre Entdecker, sondern die gesamte wissenschaftliche Welt zu dem Glauben verführten, man könne auf der Basis des Reflexes und der bedingten Reaktion »alles« tierische und menschliche Verhalten erklären.
Die gewaltigen und durchaus anzuerkennenden Anfangserfolge, die von der Reflexlehre wie von der Untersuchung der bedingten Reaktion zu verzeichnen waren, die bestechende Einfachheit der Hypothese und die scheinbare Exaktheit der Versuche machten beide zu wahrhaft weltbeherrschenden Forschungsrichtungen. Der große Einfluß aber, den beide auf die öffentliche Meinung gewannen, ist anders zu erklären. Wenn man ihre Theorien nämlich auf den Menschen anwendet, sind sie geeignet, alle jene Besorgnisse zu zerstreuen, die aus der Existenz des Instinktiven und des Unterbewussten im Menschen entspringen. Die orthodoxen Anhänger der Lehre behaupten klipp und klar, daß der Mensch als ein unbeschriebenes Blatt geboren werde und daß alles, was er denkt, fühlt, weiß und glaubt, das Resultat seiner »Konditionierung« (wie leider auch deutsche Psychologen sagen) sei.
(Diese Überzeugung ist mir vor kurzem auch wieder begegnet, sie ist wohl nicht mehr ausrottbar. Kommt man Menschen, die diese Überzeugung vertreten, mit Gegenteiligem, wird dies natürlich geleugnet./Hinzufügung von mir.)
Dieses behavioristische Dogma bestätigt jeden Doktrinär, da ja jedes Kind nach dieser Doktrin problemlos in der „einzig wahren Glaubenslehre erziehbar sei“. Zur Versöhnung trägt dieses Dogma nicht bei. Vor allen Dingen in den USA findet dieses handfeste, einfache, leicht verständliche und mechanistische Dogma einen großen Anklang, weil es sich als fälschlicherweise als „freiheitlich“ und „demokratisch“ ausgibt.
Es ist ethisch nicht anzuzweifeln, dass alle Menschen das Recht auf gleiche Entwicklungsmöglichkeiten haben. Allzu leicht lässt sich diese Wahrheit aber in die Unwahrheit verdrehen, dass alle Menschen potentiell gleichwertig seien. Die behavioristische Doktrin geht noch einen Schritt weiter, indem sie behauptet, alle Menschen würden einander gleich werden, wenn sie sich unter gleichen äußeren Bedingungen entwickeln könnten, und zwar würden sie zu ganz idealen Menschen werden, wenn nur diese Bedingungen ideal wären. Daher können oder, besser gesagt: dürfen die Menschen keinerlei ererbte Eigenschaften besitzen, vor allem aber keine solchen, die ihr soziales Verhalten und ihre sozialen Bedürfnisse bestimmen.
Unbegrenzte Konditionierbarkeit des Menschen ist, da sind sich alle Machthaber einig, äußerst wünschenswert. Dieser unmenschlichen Doktrin ist alles spezifisch Menschliche unwillkommen, alle in dieser Abhandlung besprochenen Erscheinungen, die zum Verlust des Menschentums beitragen, sind im Interesse besserer Manipulierbarkeit der Massen außerordentlich erwünscht. „Fluch der Individualität!“ ist die Parole. Endstation soll wohl sein: „Brave new world.“
Noch nie waren so große Menschenmassen auf wenige ethnische Gruppen verteilt, noch nie war Massensuggestion so wirksam, noch nie hatten die Manipulanten eine so gute, auf wissenschaftlichem Experimentieren aufgebaute Werbetechnik, noch nie verfügten sie über so eindringliche Massenmedien wie heute. Wie sehr wir angeblich freien westlichen Kulturmenschen von den kommerziellen Beschlüssen der Großproduzenten manipuliert werden, ist uns gar nicht mehr bewußt.
So ist zum Beispiel das Wegschmeißen kaum angebrauchter Güter zwecks Erwerbung neuer, das lawinenartige Anwachsen von Produktion und Verbrauch nachweislich und zweifellos ebenso dumm wie schlecht – im ethischen Sinne dieses Wortes. In dem Maße, indem das Handwerk durch die Konkurrenz der Industrie ausgerottet wird und in dem der kleinere Unternehmer, einschließlich des Bauern, existenzunfähig wird, sind wir alle ganz einfach gezwungen, uns in unserer Lebensführung den Wünschen der Großproduzenten zu fügen, die Nahrungsmittel zu fressen und die Kleidungsstücke anzuziehen, die sie für uns für gut befinden, und was das Allerschlimmste ist, wir merken kraft der uns zuteil gewordenen Konditionierung gar nicht, dass sie das tun.
Mode ist die am unwiderstehlichsten wirkende Methode, große Menschenmassen gleich zu schalten. Hatte sie ursprünglich einen stabilisierenden, konservativen Einfluss, kehrte sich dies um, als sich bei ihr die Auswirkungen der Neophilie bemerkbar machten. Grossproduzenten haben es geschafft, die Masse der Verbraucher davon zu überzeugen, dass der Besitz der allerneuesten Kleider, Möbel, Autos, Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen, Fernsehapparate usw. das untrüglichste und auch die Kreditfähigkeit am wirksamsten steigernde) Statussymbol sei.
Die schlimmsten Auswirkungen aber hat die Mode auf dem Gebiete der Naturwissenschaften. Nicht nur die öffentliche Meinung über die Wissenschaft, sondern auch die Meinung innerhalb der Wissenschaften neigt ganz zweifellos dazu, diejenigen für die wichtigsten zu halten, die es nur vom Standpunkt einer zur Masse degradierten, naturentfremdeten, nur an kommerzielle Werte glaubenden, gefühlsarmen, verhaustierten und der kulturellen Tradition verlustigen Menschheit aus zu sein scheinen. Im großen Durchschnitt betrachtet, ist auch die öffentliche Meinung der Naturwissenschaften von sämtlichen Verfallserscheinungen angekränkelt, die in den vorangehenden Kapiteln besprochen wurden. „Big Science“ ist keineswegs etwa die Wissenschaft von den größten und höchsten Dingen auf unserem Planeten, ist keineswegs die Wissenschaft von der menschlichen Seele und dem menschlichen Geiste, sondern vielmehr ausschließlich das, was viel Geld oder große Energiemengen einbringt oder aber große Macht verleiht, und sei es auch nur die Macht, alles wahrhaft Große und Schöne zu vernichten.
Die merkwürdige Beurteilung der Wissenschaften durch die heutige öffentliche Meinung, die von jeder einzelnen Wissenschaft um so weniger hält, je höher, komplexer und wertvoller ihr Forschungsgegenstand ist, läßt sich nur aus diesen Gründen – und einigen weiteren, nun zu besprechenden – erklären.
Es ist für Naturwissenschaftler völlig legitim, das Forschungsobjekt auf einer beliebigen Schicht des realen Seins,auf einer beliebig hohen Integrationsebene des Lebensgeschehens zu wählen. Auch die Wissenschaft vom menschlichen Geiste, vor allem die Erkenntnistheorie, beginnt zu einer biologischen Naturwissenschaft zu werden. Die sogenannte Exaktheit der Naturforschung hat mit der Komplikation und der Integrationsebene ihres Gegenstandes nicht das geringste zu tun und hängt ausschließlich von der Selbstkritik des Forschers und der Reinlichkeit seiner Methoden ab. Die gebräuchliche Bezeichnung von Physik und Chemie als „exakte Naturwissenschaften“ ist eine Verleumdung aller anderen. Bekannte Aussprüche, wie etwa der, daß jede Naturforschung so weit Wissenschaft sei, als sie Mathematik enthalte, oder daß Wissenschaft darin bestehe, „zu messen, was meßbar ist, und meßbar zu machen, was nicht meßbar ist“, sind erkenntnistheoretisch wie menschlich der größte Unsinn, der je von den Lippen derer kam, die es besser hätten wissen können.
Obwohl nun diese Pseudo-Weisheiten nachweisbar falsch sind, beherrschen ihre Auswirkungen auch heute noch das Bild der Wissenschaft. Es ist jetzt Mode, sich möglichst physikähnlicher Methoden zu bedienen, und zwar gleichgültig, ob diese für die Erforschung des betreffenden Objektes Erfolg versprechen oder nicht. Jede Naturwissenschaft, auch die Physik, beginnt mit der Beschreibung, schreitet von da zur Einordnung der beschriebenen Erscheinungen und von da erst zur Abstraktion der in ihnen obwaltenden Gesetzlichkeiten vor. Das Experiment dient zur Verifizierung der abstrahierten Naturgesetze und kommt somit in der Reihe der Methoden als letzte.
Diese schon von Windelband als die deskriptiven, die systematischen und die nomothetischen bezeichneten Stadien müssen von jeder Naturwissenschaft durchlaufen werden. Weil nun die Physik schon lange beim nomothetischen und experimentellen Stadium ihrer Entwicklung hält und weil sie außerdem so weit ins Un-Anschauliche vorgedrungen ist, daß sie ihre Objekte im wesentlichen nach den Operationen definieren muß, durch die sie von ihnen Kenntnis erhält, glauben manche Leute, diese Methoden auch auf solche Forschungsgegenstände anwenden zu müssen, denen gegenüber zunächst und auf dem gegenwärtigen Stande des Wissens einzig und allein die schlichte Beobachtung und Beschreibung am Platze wären.
Je komplexer und höher integriert ein organisches System ist, desto strenger muß die Windelbandsche Reihenfolge der Methoden eingehalten werden, und deshalb treibt gerade auf dem Gebiet der Verhaltensforschung der moderne, verfrüht experimentelle Operationalismus seine absurden Blüten. Unterstützt wird diese Fehlhaltung begreiflicherweise durch den Glauben an die pseudo-demokratische Doktrin, die besagt, daß das Verhalten von Tier und Mensch durch keinerlei stammesgeschichtlich entstandene Strukturen des Zentralnervensystems, sondern ausschließlich durch Umgebungseinflüsse und Lernen bestimmt sei.
Der grundsätzliche Irrtum der von der behavioristischen Doktrin diktierten Denk- und Arbeitsweise liegt in eben dieser Vernachlässigung der Strukturen: Ihre Beschreibung wird für schlechthin überflüssig erachtet, allein operationistische und statistische Methoden gelten als legitim.
Da alle biologischen Gesetzlichkeiten sich aus der Funktion von Strukturen ergeben, ist es ein vergebliches Bemühen, ohne deskriptive Erforschung der Struktur der Lebewesen zur Abstraktion der Gesetzlichkeiten zu gelangen, von denen ihr Verhalten beherrscht wird.
So leicht diese elementaren Grundregeln der Wissenschaftslehre einzusehen sind (die eigentlich jedem Abiturienten klar sein müßten, ehe er das Universitätsstudium beginnt), so hartnäckig und unbelehrbar setzt sich die Mode des Nachäffens der Physik in nahezu aller modernen Biologie durch. Dies wirkt sich um so schädlicher aus, je komplexer das untersuchte System ist und je weniger man von ihm weiß. Das neurosensorische System, das bei höheren Tieren und beim Menschen das Verhalten bestimmt, darf den Anspruch erheben, in beiden Hinsichten an erster Stelle zu stehen. Die modische Neigung, die Forschung auf niedrigeren Integrationsebenen für die „wissenschaftlichere“ zu halten, führt dann allzu leicht zum Atomismus, d. h. zu Teiluntersuchungen untergeordneter Systeme ohne die obligate Berücksichtigung der Art und Weise, in der diese dem Aufbau der Ganzheit eingefügt sind.
Der methodische Fehler liegt also nicht etwa in dem allen Naturforschern gemeinsamen Bestreben, selbst die Lebenserscheinungen höchster Integrationsebene auf basale Naturgesetze zurück zu führen und aus ihnen zu erklären, der methodische Fehler, den wir als Reduktionismus bezeichnen, liegt darin, bei diesem Erklärungsversuche die unermesslich komplexe Struktur außer acht zu lassen, in der sich die Untersysteme zusammenfügen und aus der allein die Systemeigenschaften des Ganzen verständlich gemacht werden können. Ihre bösesten Wirkungen erreicht die heutige wissenschaftliche Mode erst dadurch, daß sie, genau wie Kleider- oder Automoden, Statussymbole schafft, denn erst dadurch entsteht die Rangordnung der Wissenschaften. Der richtige moderne Operationalist, Reduktionist, Quantifikator und Statistiker blickt mit mitleidiger Verachtung auf jeden der Altmodischen, die glauben, man könne durch Beobachtung und Beschreibung tierischen und menschlichen Verhaltens, ohne Experimente und selbst ohne zu zählen, neue und wesentliche Einblicke in die Natur tun. Die Beschäftigung mit hoch integrierten lebenden Systemen wird nur dann als „wissenschaftlich“ anerkannt, wenn von den strukturgebundenen Systemeigenschaften durch absichtliche Maßnahmen der trügerische Schein „exakter“, d.h. äußerlich physikähnlicher Einfachheit erweckt wird, oder aber, wenn die statistische Auswertung eines zahlenmäßig imponierenden Datenmaterials die Tatsache vergessen läßt, daß die untersuchten „Elementarteilchen“ Menschen und nicht Neutronen sind, kurz gesagt nur dann, wenn alles aus der Betrachtung fortgelassen wird, was hoch integrierte organische Systeme, einschließlich des Menschen, wirklich interessant macht.
Vor allem gilt dies für das subjektive Erleben, das wie etwas höchst Unanständiges im Freudschen Sinne verdrängt wird. Wenn jemand das eigene subjektive Erleben zum Gegenstand der Untersuchung macht, fällt er als subjektivistisch der größten Verachtung anheim, erst recht, wenn er es wagt, die Isomorphie psychologischer und physiologischer Vorgänge als Wissensquelle zum Verständnis der letzteren auszuschöpfen.
Die Doktrinäre der pseudodemokratischen Doktrin haben die „Psychologie ohne Seele“ offen auf ihr Banner geschrieben, wobei sie völlig vergessen, daß sie selbst ja bei ihren „objektivsten“ Forschungen nur auf dem Wege ihres eigenen subjektiven Erlebens von den zu erforschenden Objekten Kenntnis haben. Wer nun gar die Behauptung aufstellt, daß auch die Wissenschaft vom menschlichen Geiste als Naturwissenschaft betrieben werden kann, wird schlechthin als Irrer bezeichnet.
Alle diese Fehleinstellungen heutiger Wissenschaftler sind grundsätzlich unwissenschaftlich. Nur der ideologische Druck des Consensus sehr großer, fest indoktrinierter Menschenmassen vermag sie zu erklären, jener Druck, der auch in anderen Gebieten des menschlichen Lebens häufig ganz unglaubliche Modetorheiten hervorzubringen imstande ist. Die besondere Gefährlichkeit der modischen Indoktrinierung auf dem Gebiete der Wissenschaft liegt nun darin, daß sie den Wissensdrang allzu vieler, wenn auch zum Glück nicht aller modernen Naturforscher in eine Richtung lenkt, die derjenigen gerade entgegengesetzt ist, die zum eigentlichen Ziele alles menschlichen Erkenntnisstrebens hinführt, nämlich zur besseren Selbsterkenntnis des Menschen. Die von der heutigen Mode den Wissenschaften vorgeschriebene Tendenz ist unmenschlich im bösesten Sinne dieses Wortes. So manche Denker, die mit klarem Auge die überall wie maligne Tumoren vordringenden Erscheinungen der Entmenschlichung sehen, neigen zu der Meinung, daß das wissenschaftliche Denken als solches inhuman sei und die Gefahr der „Dehumanisierung“ heraufbeschworen habe.
Wie aus dem schon Gesagten hervorgeht, bin ich (K. Lorenz/Hinzufügung von mir) nicht dieser Ansicht. Ich glaube ganz im Gegenteil, daß die heutigen Wissenschaftler als Kinder ihrer Zeit von Dehumanisationserscheinungen befallen sind, die primär in der nicht wissenschaftlichen Kultur allüberall auftreten. Es bestehen nicht nur deutliche und bis in Einzelheiten gehende Entsprechungen zwischen diesen allgemeinen und den speziell die Wissenschaft betreffenden Kulturkrankheiten, sondern die ersteren erweisen sich bei näherer Betrachtung eindeutig als Ursache und nicht als Folge der letzteren. Die gefährliche modische Indoktrinierbarkeit der Wissenschaft, die der Menschheit die letzte Stütze zu rauben droht, hätte nie zustande kommen können, wenn nicht die in den ersten vier Kapiteln besprochenen Kulturkrankheiten ihr den Weg gebahnt hätten. Die Übervölkerung mit ihrer unvermeidlichen Entindividualisierung und Uniformierung, die Naturentfremdung mit dem Verlust der Fähigkeit zur Ehrfurcht, der kommerzielle Wettlauf der Menschheit mit sich selbst, der in utilitaristischer Denkungsart das Mittel zum Selbstzweck macht und das ursprüngliche Ziel vergessen läßt, und nicht zuletzt die allgemeine Verflachung des Gefühls, sie alle finden in den die Wissenschaften betreffenden Dehumanisationserscheinungen ihren Niederschlag, sie sind deren Ursachen und nicht deren Folge.
Kap. 8: die Kernwaffen
Eindeutige Thematik, muss nicht weiter besprochen werden. Wichtig erscheint mir, dass Lorenz bezüglich des Nichtabwerfens der Atombombe optimistischer ist als bezüglich der übrigen sieben Todsünden der Menschheit. Seiner Meinung nach sei der größte Schaden, der durch Kernwaffen entstehe, eine „allgemeine Weltuntergangsstimmung“.
Schlusswort / Zusammenfassung / ergänzende Worte von mir:
Es wurden acht voneinander unterscheidbare, aber miteinander in engem ursächlichen Zusammenhang stehende Vorgänge besprochen:
- Die Überbevölkerung. Zwingt durch Überangebot an sozialen Kontakten zur Abschirmung und trägt zur Aggression bei, aufgrund zu vieler Menschen auf kleinstem Raum.
- Verwüstung der Umwelt. Zerstört diese und nimmt dem Menschen die Ehrfurcht einer über ihm stehenden Schöpfung.
- Der Wettlauf der Menschen mit sich selbst treibt die Menschen immer weiter voran und dies in einem immer schnelleren Tempo. Das macht blind für Werte und nimmt dem Menschen die Zeit für die wahrhaft menschliche Tätigkeit der Reflexion.
- Schwund starker Gefühle durch Fortschritt und Verweichlichung. Steigende Intoleranz bezüglich Unlust führt zur Unfähigkeit, Freude zu erleben. Reizschwelle zur Lust steigt immer weiter und lässt Menschen zusätzlich abstumpfen. Es muss immer was Neues her.
- Genetischer Verfall. Es gibt keine Faktoren mehr, die einen Selektionsdruck auf die Aufrechterhaltung sozialer Verhaltensnormen („Moral“/“das macht man nicht“) ausüben. Infantilismen und Jugendlichkeitswahn, gekoppelt mit der Unfähigkeit, Verantwortung übernehmen zu können, lassen große Anteile der Jugend parasitisch werden und sind möglicherweise genetisch bedingt.
- Abreißen der Tradition. Keine Verständigung mehr mit Älteren, Eltern, keine Identifizierung mehr mit Kultur. Behandlung Älterer wie eine fremde ethnische Gruppe. Ursache: mangelnder Kontakt zwischen Eltern und Kindern.
- Indoktrinierbarkeit. Uniformierung der Anschauungen. Leichtere Erreichbarkeit großer Menschenmassen für „Lehren“ aufgrund der Entwicklung der Massenmedien. Die suggestive Wirkung einer fest geglaubten Doktrin wächst mit der Zahl ihrer Anhänger. Wer sich der „gesellschaftlich anerkannten“ Meinung / Gruppenmeinung entzieht, wird als krank eingestuft oder anders bekämpft.
- Kernwaffen
Die in Kapitel eins bis sieben besprochenen Vorgänge der De-Humanisierung werden durch die pseudodemokratische Doktrin, welche besagt, dass das soziale und moralische Verhalten des Menschen nicht durch die stammesgeschichtlich evolvierte Organisation seines Nervensystems und seiner Sinnesorgane bestimmt wird, sondern ausschließlich durch „Konditionierung“ beeinflusst wird, der er im Laufe seiner Ontogenese durch seine jeweilige kulturelle Umwelt unterliegt, noch verstärkt.[klassische „linke“ Doktrin!]
Lorenz beschreibt in seinem „optimistischen Vorwort“, daß sein Buch gelesen werde und seine Stimme gehört werde und daß auch seine Besprechung der „behavioristischen Doktrin“, die seiner Meinung nach einen erklecklichen Teil der Schuld am drohenden kulturellen und moralischen Zusammenbruch der Vereinigten Staaten trägt, gehört wird.
Nun sind wir heute ein paar Jahre weiter.
Man kann verstehen, dass Lorenz damals optimistisch war, ist doch dieses Buch schon ein paar Jahre alt.
Ich teile diesen Optimismus nicht. Die Entwicklungen, die Lorenz damals andeutete – es täte sich etwas vor allem im Bereich Umweltschutz, das sei zwar noch zu wenig, aber es bestehe Hoffnung, dass mehr folge – sind nicht eingetreten, im Gegenteil, heute gibt es Chemtrails und fracking und ich weiß nicht, was noch für Umweltsünden; Fakt ist, dass sich heute keiner mehr um Umwelt (-schädlichkeit) seines Verhaltens kümmert, damals hat man ja, da kann ich mich sogar noch dran erinnern, wenigstens ab und zu das Autofahren eingestellt. Auch schreitet die Bevölkerungsexplosion fort, die Kriege gehen weiter, sind keine vorhanden, werden seitens der USA eben welche inszeniert.
Nach dem gnadenlosen Wettlauf der Menschen mit sich selbst, fragt keiner mehr. Heute heißt es: Mitmachen oder untergehen. Wer nicht mehr kann, fällt halt weg, ein Esser weniger. Überleben der Stärksten. Es gibt Tote aufgrund von HartzVier. Für Menschen, die aus dieser unserer Terror- „Gesellschaft“, herausfallen, weil sie einfach nicht mehr können, hat eben diese „Gesellschaft“, keinerlei Verständnis, geschweige denn, Mitgefühl, oder gar Mitleid. Teile und herrsche gegen unser Volk funktioniert auch hier, die, die Arbeit haben, wetteifern miteinander, und hetzen gegen die, die keine mehr haben, und die, die keine mehr haben, hetzen wiederum gegen andere, irgendeiner lässt sich ja immer finden, es herrscht die mickrige Maxime vor: jeder gegen jeden, und das alles immer schneller und rücksichtsloser.
Punkt 4 (Verlust starker Gefühle) und Punkt 5 (Soziale Verhaltensnormen gibt es nicht mehr, es zählt nur noch Anpassung, egal wie schwachsinnig das ist, was vorgegeben wird) leisten dem gnadenlosen Wettlauf der Menschheit mit sich selbst dabei noch Vorschub. Gefühlsleere wird immer wieder neu betäubt durch immer neue (Schein-)sensationen, die, je perverser, desto besser sind, denn sie bringen Einschaltquoten und lassen verkaufen, oder im Internet, bringen sie Click-zahlen, ein besseres „google-ranking“, oder was auch immer. „Was auch immer“ ist dabei wörtlich zu nehmen, denn soziale Verhaltensnormen (das gute alte „Das macht man nicht“) gibt es in der Gesellschaft nicht mehr. Vorschub bei dem Ganzen leistet das Internet, dort kann man schon mal ausprobieren, wie pervers geht, so ganz im Schatten der Anonymität, dort trauen sich sogar Feiglinge, das zu tun, was sie öffentlich – noch! – nicht wagen würden.
Aber auch das wird sich ändern. Irgendwann fallen die Menschen auch öffentlich übereinander her, weil sie keine Moral mehr haben.
Die Indoktrinierbarkeit, nicht zuletzt die der Wissenschaft und Kultur, beeinflusst unser ganzes Leben. Doktrinen geben im Rahmen der „Wissenschaft“ (dahinter stehen die entsprechenden, mafiös agierenden Industrien) vor, was „wahr“ ist und was gelehrt wird. [CoronaWahn!] So wird unsere gesamte Jugend verblödet und verbildet. So werden Millionen Kranke falsch behandelt. Andere Wahrheiten also die des Systems sind nicht mehr zugelassen; unsere (westliche) Gesellschaft ähnelt diesbezüglich immer mehr G. Orwells „1984“. Was nicht passt, in die „Lehre“, wird passend gemacht, oder es werden einfach unerwünschte Worte gestrichen. Woran man nicht mehr denken kann, das gibt es irgendwann auch nicht mehr in menschlichen Köpfen, geschweige denn, dass Mensch sich für „so etwas“, einsetzt. Und die Mehrheit schließt sich dem kritiklos, dank Dauerberieselung in TV, Radio, Internet und Printmedien, an.
Die Doktrinen in Kultur, Musik, Literatur und Kunst wirken genauso und lassen für den kreativ arbeitenden Menschen authentisches Schaffen nicht mehr zu. Er muss sich anpassen, oder untergehen.
Ziel: Der Mensch soll sich selbst entfremdet werden, von seiner Individualität ent-koppelt werden, er soll zum ohne eigene Meinung willenlos blökenden Dummschaf gemacht werden, welches immer schön weiter brav der Herde hinterher trottet.
Die Herde selbst sorgt dann durch die ihr inne liegende Dynamik dafür, dass der Andersdenkende (andersdenkend egal, in welcher Beziehung) von ihr selbst zertrampelt, gesteinigt, oder zumindest ausgestoßen wird. Da brauchen die Medien oder die „Lehrer“ nichts mehr hinzu zu fügen.
In dem Sinne zerstört sich die Menschheit selbst. Das ist mein Ausblick.
Wenn man ein wenig vom Geldsystem versteht, und was so in diesem Bereich auf der Welt vor sich geht, wenn man weiß, wie Kriege funktionieren, wer sie anzettelt und auch durchzieht, weiß, wohin uns das führen wird. Ich möchte an dieser Stelle nur noch wiederholen, was ich an anderer Stelle bereits gesagt habe: Bereitet euch vor. Im bestehenden System ist keinerlei Änderung mehr möglich. Erst danach dürfen die Anständigen wieder atmen, leben und etwas Neues erschaffen. Ende alter Text.
Dem sei heute, am 30.1.2021, im Zeitalter 2 des eingebildeten Massen-Pandemie-Wahns, hinzugefügt: Es ist alles genau so gekommen, wie oben von Lorenz geschildert, nur: Es ist alles noch viel schlimmer.
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